Egon Schiele – Auftakt zum Gedenkjahr 2018

Albertina Wien

Art On Screen - News - [AOS] Magazine
Egon Schiele, Weibliches Liebespaar, 1915, Albertina, Wien

„Ich bin froh, dies alles und noch mehr zu erleben, denn gerade diese Erlebnisse, die traurig sind, klären den schaffenden Menschen.“ [Egon Schiele]

Egon Schiele , Gedenkjahr 2018, Art On Screen - News - [AOS] Magazine
Egon Schiele, Zwei Freundinnen, 1915, Budapest, Szépmüvészeti Múzeum
Als Auftakt zum Gedenkjahr 2018 zeigt die Albertina bereits jetzt eine umfassende Ausstellung von Egon Schieles Werk. Sie positioniert sein radikales OEuvre in einer zwischen Moderne und Tradition gespaltenen Epoche. 160 seiner schönsten Gouachen und Zeichnungen führen in ein künstlerisches Werk ein, das sein großes Thema in der existenziellen Einsamkeit des Menschen findet und in drastischem Gegensatz zu den Wertvorstellungen der Gesellschaft des Fin de Siècle steht. Während Schiele üblicherweise als Teil der künstlerischen und geistigen Elite der Wiener Jahrhundertwende von Mahler bis Schnitzler, von Freud bis Kraus, von Altenberg bis Hofmannsthal betrachtet wird, folgt die Inszenierung der Ausstellung einem anderen Prinzip: Große, im Raum schwebende Fotografien konfrontieren die radikalen Arbeiten des Künstlers mit der Realität seiner Umwelt. Sie bilden den realen Hintergrund, der die Fallhöhe zwischen dem Schaffen Schieles und der ihn umgebenden Gesellschaft verdeutlicht.

Der große Zeichner Egon Schiele

Egon Schiele , Gedenkjahr 2018, Art On Screen - News - [AOS] Magazine
Egon Schiele, Sitzender weiblicher Akt mit aufgestützten Ellbogen, 1914, Albertina, Wien
Egon Schiele (1890–1918) ist nicht nur Wegbereiter und Hauptmeister des österreichischen Expressionismus und neben Klimt eine der Schlüsselfiguren der Wiener Jahrhundertwende, er ist vor allem auch der größte Zeichner des 20. Jahrhunderts. Nach seinem Studium an der Akademie, das den strengen Vorschriften des dortigen Lehrbetriebs folgt, wendet sich der junge Künstler zunächst dem Jugendstil zu. Sein Vorbild findet er in Gustav Klimt. Doch im Gegensatz zu Klimt, dessen Zeichnungen als Ideen, Entwürfe oder Skizzen für seine Gemälde dienen, betrachtet Egon Schiele seine Arbeiten auf Papier bald als autonome Kunstwerke. Um 1910 findet er als kaum Zwanzigjähriger zu einem unverwechselbaren, eigenen Stil – und dies vor allem in seiner Zeichenkunst.

 

Egon Schiele , Gedenkjahr 2018, Art On Screen - News - [AOS] Magazine
Egon Schiele, Schwarzhaariger Mädchenakt, 1910, Albertina, Wien
In der Zeichnung, im Aquarell und der Gouache beschreitet der Künstler neue Wege: Mit sicherer, kräftiger Linienführung erfasst er seinen Bildgegenstand, der meist der menschliche Körper ist. Einerseits charakterisiert er ihn durch treffsichere Konturierung, andererseits verfremdet er ihn durch gewagte Perspektiven und überspitzte Gestik und Mimik. Gerade in seinen präzise kalkulierten Zeichnungen erschließt Schiele in Bezug auf Ikonografie und Farbgebung neues Terrain. Nicht zufällig wird das zeichnerische OEuvre des Künstlers als seiner Malerei mindestens ebenbürtig geschätzt – der Zeichner Schiele ist dem Maler Schiele sogar weit überlegen. Als Zeichner wird er in weiterer Folge zum großen Vorbild für viele KünstlerInnen unserer Zeit.

Tabubruch als Prinzip

Egon Schiele , Gedenkjahr 2018, Art On Screen - News - [AOS] Magazine
Egon Schiele, Grimassierendes Aktselbstbildnis, 1910, Albertina, Wien
Egon Schieles Darstellungen ausgezehrter Körper zeigen eine damals wie heute radikale Ästhetik des Hässlichen. Diese widerspricht dem Schönheitsideal der Secession um Gustav Klimt. Der junge Schiele hebt die Gegensätze zwischen dem Schönen und dem Hässlichen, dem Normalen und dem Pathologischen auf. Seine ProtagonistInnen stehen symbolhaft für die Entfremdung des Menschen von der bürgerlichen Gesellschaft und der Kirche. Sie verkörpern eine Allegorie der Heimatlosigkeit des modernen Individuums – das Ablegen falscher Scham wird dabei als Tabubruch zum ästhetischen Prinzip.

Egon Schiele als Ethiker und Moralist

Egon Schiele , Gedenkjahr 2018, Art On Screen - News - [AOS] Magazine
Egon Schiele, Selbstbildnis mit herabgezogenem Augenlid, 1910 Albertina, Wien
Zwischen 1912 und 1918 schuf Egon Schiele eine Reihe von Werken, die Männer in ärmlichem Gewand zeigen, mit pathetischen Titeln wie Erlösung, Andacht oder Die Wahrheit wurde enthüllt. Mit der motivischen wie inhaltlichen Anlehnung an das Armutsideal von Franz von Assisi hebt sich der junge Künstler einmal mehr vom Materialismus ab, den die Elite des Wiener Fin de Siècle um Gustav Klimt und die Wiener Werkstätte repräsentiert. Schieles Kunst ist dabei allerdings nicht das Abbild seiner persönlichen Befindlichkeit, sondern erhebt vielmehr einen hohen moralischen Anspruch: Schiele erweist sich nicht nur als Künstler von größtmöglicher Freiheit und ästhetischer Autonomie, sondern zugleich auch als Verfechter hoher Ethik und leidenschaftlicher Spiritualität.

  • V-Geste

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Egon Schiele Selbstbildnis mit Pfauenweste, 1911 Ernst Ploil, Wien
Im Kontext von seinen hohen Moralvorstellungen ist auch die berühmte V-Geste, die erstmals in seinem Selbstbildnis mit Pfauenweste zu sehen ist, zu deuten. Das Handzeichen zitiert das berühmte byzantinische Pantokrator-Mosaik der Chora-Kirche in Konstantinopel. Nicht nur in dieser Geste, auch im Lichtkranz, der den Kopf des Künstlers heiligt, inszeniert sich Egon Schiele performativ als Auserwählter von hohem Rang. Die wirre Frisur und der Blick von oben herab lässt das selbstbewusste Genie erkennen, das der Welt das Heil bringt: ein verweltlichter Christus als Herrscher, ein Künstler als Schöpfer und Messias. So wird ein wesentlicher Aspekt byzantinischer Ikonografie zu einer zeitgenössischen Geste uminterpretiert und expressionistisch übersetzt.

  • Selbstfindung

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Egon Schiele, Der Maler Max Oppenheimer, 1910, Albertina, Wien
In der Internationalen Kunstschau 1909 in Wien werden Werke Schieles gezeigt. Er kommt mit Josef Hoffmann (1870–1956) und der Wiener Werkstätte in Kontakt. Gemeinsam mit Kollegen gründet er aus Protest gegen die konservative Ausbildung an der Akademie die Neukunstgruppe und bricht im Juli 1909 sein Studium ab. Im Dezember stellt die Gruppe erstmals in Wien aus. Schiele lernt den Kunstschriftsteller Arthur Roessler (1877–1955) und den bedeutenden Sammler Carl Reininghaus kennen. Ende 1909/Anfang 1910 arbeitet er mit Max Oppenheimer (1885–1954) Seite an Seite, lässt den Jugendstil hinter sich, findet zu einem eigenen Stil und betätigt sich auch dichterisch. 1910 entstehen Porträtgemälde, Karten für die Wiener Werkstätte und Entwürfe für das Palais Stoclet in Brüssel. Schiele nimmt an der Internationalen Jagdausstellung in Wien teil. 1910 schafft Schiele expressive Bilder mit wilder Kolorierung als eigenständige Werke auf Papier, die ihm bereits einen Platz in der Kunstgeschichte sichern.

  • Am Zenit

Anfang 1913 wird Schiele in den Bund Österreichischer Künstler aufgenommen und beteiligt sich an dessen Budapester Ausstellung. Auch in München, Berlin und Düsseldorf sind in prominenten Ausstellungen 1913 zahlreiche Werke von ihm zu sehen. In Wien nimmt er an der Internationalen Schwarz-Weiß-Ausstellung und der 43. Ausstellung der Secession teil. Er reist viel: nach Krumau, München und Villach, malt Stein an der Donau, urlaubt mit Wally bei Arthur Roessler am Traunsee, mit Mutter und Schwester Gerti in Kärnten. 1913 setzt Schiele seine Beschäftigung mit Franz von Assisi in expressiven Allegorien auf Papier fort, setzt sich aber auch mit der Antike auseinander. Schieles isolierte Körperbilder zeigen ihn 1913/14 am Zenit seiner Meisterschaft in ausdruckstarker, zeitloser Darstellung der existenziellen Einsamkeit des Menschen.

  • Später Erfolg

Den großen finanziellen Durchbruch erlebt Egon Schiele im März 1918, als seine Werke bei der 49. Ausstellung der Wiener Secession ausgestellt werden. Er gestaltet nicht nur das Ausstellungsplakat, ein Manifest seiner Beziehung zu anderen Künstlern, sondern tritt auch als Organisator der Ausstellung auf und erarbeitet deren Konzept. Obwohl die Wiener Gesellschaft große Vorbehalte gegen Teile der Ausstellung hat, wird sie ein großer Erfolg – für Egon Schiele ist dies der große Durchbruch, der ihn zum erklärten Nachfolger und legitimen Erben des im Februar verstorbenen Gustav Klimt werden lässt.

  • Früher Tod

Nach dem überraschenden Tod Gustav Klimts Anfang 1918 wird Egon Schiele als der legitime Erbe dieses Hauptmeisters der Österreichischen Avantgarde angesehen und zum Haupt der Wiener Kunstszene. Doch erkrankt Schieles im sechsten Monat schwangere Frau Edith an der Spanischen Grippe und stirbt am 28. Oktober. Schiele zeichnet sie noch am letzten Tag ihres Lebens. Dann erkrankt er selbst an dieser tödlichen hochansteckenden Krankheit, die weltweit mehr Menschen dahinrafft, als im ersten Weltkrieg gefallen sind. Am frühen Morgen des 31. Oktober 1918, am Tag der Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie, stirbt Egon Schiele im Alter von 28 Jahren. Nach einer Notiz seiner Schwägerin Adele Harms waren seine letzte Worte: „Der Krieg ist aus – und ich muß geh’n.“ [Albertina Wien]

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Externer Link zur Albertina
Die Egon Schiele Ausstellung ist bis zum 18. Juni in der Albertina zu sehen. Täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs 10.00 bis 21.00 Uhr. Albertinaplatz 1,  A-1010 Wien

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